Formica polyctena – die Kahlrückige Waldameise

Steckbrief

Familie: Formicidae (Ameisen)

Unterfamilie: Formicinae (Schuppenameisen)

Tribus: Formicini

Gattung: Formica Linnaeus, 1758

Untergattung: Formica s. str.

Art: Formica polyctena Förster, 1850

Deutscher Name: Kahlrückige Waldameise

Natürliches Habitat: Laub- und Nadelwälder jeglicher Art, Affinität zu Fichten. Dringt im Gegensatz weit ins Waldesinnere vor, ist also auch in stark beschatteten Bereichen zu finden

Verbreitung: Von Iberien bis zum Baikal, etwa von 42° bis 61° nördlicher Breite, in Gebirgen bis ca. 1.000 Meter.

Königinnen: sozialparasitisch bei einer Serviformica Art (meist bei Serviformica fusca), später auch Adoption und Zweignestbildung. Polygyn

Kolonien: anfangs monogyn, später fast immer polygyn

Arbeiterinnenunterkasten: monomorph

Nahrung: Insekten, Spinnentiere, Artropoden etc., Honigtau (Trophobiose), süße Pflanzensäfte, Aas

Schwärmzeit: Mitte April – Ende Juni

Aussehen/Färbung: Augen unbehaart. Hinterhaupt ganz ohne abstehende Haare. Kopfunterseite mit max. 7 kurzen Borsten. Pronotum oft unbehaart oder max. 15 Borsten. Schwarze Flecken auf Pro- und Mesonotum schwach bis deutlich, undeutlich umgrenzt. Schuppe vereinzelt behaart. Stirn und Hinterhaupt schwarz. Wangen und Kopfschild rotbräunlich. Länge: 4-8,5 mm. Es kommt zur Hybridisierung zwischen Formica rufa und Formica polyctena, daher teils gemischte Merkmale.

Puppen: Kokonpuppen

Körpergröße: Arbeiterinnen: 4 – 8,5 mm, Königin: 9-11 mm, Männchen 9-1mm

Koloniegröße: mehreren tausend Königinnen und mehreren Millionen Individuen

Nest: Hügelnester, die mehrere Meter Durchmesser erreichen können. Die Ameisen können das Mikroklima ihrer Behausung beeinflussen. Den Kern bildet oft ein alter Holzstrunk.

Schutzstatus: Diese Art ist gem. § 42 BNatSchG unter besonderen Schutz gestellt

Wenn du es lieber genau wissen willst:

Die auch als „Kleine Rote Waldameisen“ bezeichneten Formica polyctena sind wohl die am häufigsten anzutreffende Formica s. str. (echte Waldameisen). Sie besiedeln sowohl Laubwälder, Nadelwälder, Mischungen daraus und sogar reine Fichtenwald-Monokulturen. Sie sind dabei nicht auf besonders sonnige Standorte angewiesen, sondern dringen auch tief in den dichten Baumbestand ein. Daraus resultieren bei älteren Kolonien oft massive Nesthügel, die mehrere Meter lang und menschenhoch werden können. Denn die Nesthügel dienen – wie bei allen Waldameisen – zur Wärmesteuerung. Sie sollen im Inneren stringente Temperaturen zur Brutentwicklung bieten. Je schattiger der Standort, desto eher findet man sehr ausgedehnte, teils sogar eher flache Nester, die die Umgebungswärme und Sonnenstrahlen effektiv aufnehmen und speichern können.

Formica polyctena befinden sich in der deutschen Rote-Liste-Kategorie
„Ungefährdet“.

Aktueller Bestand:
häufig

Langfristiger Bestandstrend:
mäßiger Rückgang

Kurzfristiger Bestandstrend:
Abnahme im Ausmaß unbekannt

Vorherige Rote-Liste-Kategorie:
Vorwarnliste

Rote Liste Zentrum

Standorte, die schon Jahrzehnte von Formica polyctena besiedelt werden, zeichnen sich oft durch eine große Anzahl an Nesthügeln aus, die miteinander in Verbindung stehen. Mehrere dutzend, selten sogar über 200 Nesthügel in einem Wald können millionenstarke Völker beherbergen, die allesamt zur selben Kolonie gehören. Diese Kolonie hat dabei eine Vielzahl an Königinnen, denn Formica polyctena ist stark polygyn. Dadurch herrscht auch eine gewisse Dynamik: Königinnen können mit Teilen eines Volks leicht Zweignester bilden und so passende Standorte erschließen, v.a. nach den Schwarmflügen. Dabei sind sie aber weiterhin als Kolonie verbunden. Formica polyctena hat dadurch einen massiven Standort- und Wettbewerbsvorteil – und großen Einfluss auf ihre Umgebung.

Leider schützt selbst die Veranlagung zur Bildung großer Kolonien diese Art nicht davor, im Bestand bedroht zu sein. Durch Waldwirtschaft (Entzug des Lebensraums, teils auch Zerstörung der Nester durch Waldarbeiten), Klimaerwärmung und den allgemeinen Schwund an Insekten (und damit der Nahrungsgrundlage) können selbst große Bestände binnen weniger Jahre massiv einschrumpfen. Bei Kartierungen stellen Ehrenamtliche von den Ameisenschutzwarten häufig fest, dass auch große Nesthügel komplett aufgegeben wurden und die Bestände eher schrumpfen. Die Arbeit von Jahrzehnten wird also zugunsten des Überlebens der Kolonie aufgegeben, Völker verbinden sich und ziehen zusammen auf engeren Raum.

Wie erkennt man Formica polyctena?

Die bereits genannten großen Ansammlungen von Nesthügeln in einem Wald sind bereits ein guter Indikator, welche Art man hier wohl vor sich haben könnte. Doch natürlich ist dies nicht immer der Fall, da selbstverständlich auch vollkommen unabhängige Einzelnester vorkommen. Dazu später mehr.

Wie bei allen Waldameisen ist eine Bestimmung durchaus herausfordernd. Denn wie der Name schon sagt, weist Formica polyctena – die Kahlrückige Waldameise – auf ihrem Rücken und auch auf ihrem Kopf nur wenige Haare auf. Am Pronotum findet man oft gar keine Haare oder höchstens 15 Borsten (nicht zu verwechseln mit feinen, sehr kurzen Härchen). An der Kopfunterseite spricht man von bis zu sieben kurzen Borsten, das Stielchenglied weist ggf. ein paar einzelne abstehende Haare auf. Man muss also mittels einer starken 30-90x Lupe nachzählen.

Die Färbung ist ein weiterer Indikator zur Bestimmung, doch auf den ersten Blick gleichen sich Waldameisen beinahe wie ein Ei dem anderen. Im Detail zeigen sich Unterschiede. Kopf, Mesosoma und Stielchenglied sind bei Formica polyctena beinahe durchgehend rötlich gefärbt. Die Gaster, sowie die Oberseite des Kopfes sind schwarz. Wangen und Kopfschild sind ebenfalls schwarz, mit einem etwas bräunlichen Einschlag. Ebenso die Beine, die an den Gelenken eine rötliche Färbung aufweisen. In Hinsicht auf die Farbe kann man die zwei schwarzen Flecken auf Pronotum und Mesonotum als zusätzlichen Indikator für eine Bestimmung nutzen – diese sind mehr oder weniger unscharf umgrenzt und oft eher undeutlich erkennbar. Aber selbst innerhalb eines Volkes herrscht hier eine Varianz, sodass diese Indikatoren teils schwer nutzbar sind.

Interessant zu wissen: Es kommt zwischen Formica polyctena und Formica rufa zu Hybriden, was zu verwirrenden Mischformen in Bezug auf Anzahl der Haare, sowie Färbung führen kann. Es gibt sogar ernsthafte Zweifel daran, dass es sich überhaupt um zwei verschiedene Spezies handelt. Momentan werden beide aber als separate Arten geführt.

Die Königinnen und Männchen werden 9-11mm groß, Arbeiterinnen zwischen 4 und 8,5 mm. Tendenziell sind kleinere Tiere häufiger anzutreffen. Sie sind somit ein wenig kleiner als z.B. Formica rufa (daher auch der Beiname „Kleine Rote Waldameise“).

Lebensweise

Wie schon beschrieben sind beinahe alle Nester dieser Art polygyn und können zahlreich in einem Waldstück vertreten sein. Meist findet man ein Gemisch aus stark bewohnten, nur mäßig bewohnten, bis hin zu verlassenen Nestern in einem Gebiet.

Zwischen Ende April und Juni finden die Schwarmflüge statt. Der Vorgang selbst weicht nicht von dem anderer Waldameisen ab. Doch müssen die Jungköniginnen nach der Begattung eine folgenschwere Entscheidung treffen – entweder lassen sie sich von einer bestehenden Kolonie adoptieren. Dabei kann es sich um die eigene Kolonie, oder sogar um eine Fremdkolonie handeln. Die Jungköniginnen werden in diesem Zeitraum im Normalfall sang- und klanglos akzeptiert bzw. bei Fremdkolonien nach kurzen, nur wenig heftigen Attacken. Oft wird diese Entscheidung der Gründerin abgenommen, denn landet die Jungkönigin nach dem teils chaotisch anmutenden Treiben in der Luft nahe der eigenen Heimatkolonie, ist die Vorgehensweise recht simpel – man findet schnell ein Zuhause in der alten Heimat. Und wenn eine fremde Kolonie eine starke Präsenz hat, ist eine Adoption in deren Gefilde ebenfalls beinahe vorprogrammiert.

Doch nicht alle Jungköniginnen finden sich nach der Landung so nah an ihren alten oder bestehenden Kolonien wieder. Ist überhaupt keine Formica polyctena Kolonie in Reichweite, so bleibt nur eine riskante Option: Die Königin dringt in ein Nest der Grauschwarzen Sklavenameise Formica fusca ein, tötet dort die eigentliche Königin oder die Königinnen und positioniert sich in der artfremden Kolonie als neue Königin. Dies erfolgt durch die massive Abgabe an Pheromonen, die für die Arbeiterinnen attraktiv und aggressionshemmend wirken.

Selbstredend ist dieser Vorgang sehr gefährlich und die wenigsten Jungköniginnen schaffen es, in ein bestehendes Formica fusca Nest einzudringen und am Ende auch zu überleben. Zwar werden junge Kolonien oft präferiert, doch auch eine kleine Anzahl an Arbeiterinnen kann eine Jungkönigin leicht töten. Sie verhält sich beim Eindringen in die Kolonie nach Möglichkeit äußerst defensiv gegenüber den Arbeiterinnen und versucht, Kämpfen eher auszuweichen. Dennoch sieht sie sich zahlreichen, teils heftigen Attacken der Arbeiterinnen ausgeliefert. Bis sie der durchaus ebenfalls wehrhaften und körperlich gleichwertigen Königin bzw. sogar den Königinnen gegenübersteht, die sie beseitigen muss, vergeht so einige Zeit. Mit etwas Glück kann aber eine Gründung auf diesem Wege erfolgen – und nach wenigen Wochen schlüpfen die ersten eigenen Arbeiterinnen, die zunehmen die Wirtskolonie verdrängen.

Später erfolgt die Gründung der Ableger solch einer sozialparasitären Kolonie: Nach den ersten Schwarmflügen der eigenen Jungköniginnen-Töchter bilden sich zumeist weitere Nester in der unmittelbaren Umgebung. Der Grundstock für die zu Anfang genannten Kolonieverbünde ist gelegt.

Warum wir Formica polyctena schützen

Auch die Neigung zu großen Kolonien schützt dieser Art leider nicht vor der Bedrohung durch menschliche Einflüsse. Oder gerade diese Neigung wird ihr zum Verhängnis – denn große Mengen an teils aggressiven Arbeiterinnen können, v.a. in Siedlungsnähe – zu Konflikten mit Menschen führen. Bei Waldarbeiten werden oft Nester beschädigt, denn diese sind lokal oft in großer Zahl vorhanden.

Gleichzeitig aber ist der Wert von Formica polyctena für die Wälder unschätzbar – sie jagen unzählige Insekten, die teils als Schädlinge gelten. Daneben verwerten sie Aas und Kadaver, was Krankheitserreger zurückhält. Vögel, v.a. Spechte, können sich an ihren Nestern bedienen – diese nutzen Ameisensäure zur Gefiederpflege, sowie die Ameisen und deren Brut als Futter. Darüber hinaus kümmern sich Formica polyctena um Blatt- und Rindenläuse, die den für viele andere Insekten so wichtigen Honigtau produzieren. Dieser wird auch von Bienen zur Herstellung von Waldhonig genutzt. Der Boden um die Nester herum wird durch Grabeaktivitäten aufgelockert, was Pflanzen und Pilzen ein leichteres Wurzelwachstum ermöglicht. Zu guter Letzt sind viele sogenannte Ameisengäste auf die Nester als Kinderstube oder Herberge angewiesen.

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